Minnie - eine Geschichte...



Es lag hoch Schnee und es war kalt und Nacht, als wir Minnie bekamen. Vor uns stand eine riesige Transportbox - eine Dogge hätte gut darin Platz gefunden - und heraus kam ein unglaublich niedliches und winziges Wesen mit dem bezauberndsten Boxergesichtchen, das man sich nur vorstellen kann.

Rappeldürr war sie. Von weitem schon konnte man jeden einzelnen Wirbel auf ihrem Rücken sehen - von den Rippen ganz zu schweigen. Ihr Fell war regelrecht stachelig vor Haarbruch.

Aber sie war freundlich, etwas verhuscht in dieser Nacht, ließ sich gleich von uns überall anfassen und rollte sich für den Heimweg friedlich auf der Rückbank unseres Autos zusammen. Ganz allein sein im dunklen hinteren Teil des Autos wollten wir ihr nicht gleich zumuten. Zu Hause warteten noch zwei Boxernasen auf uns: die 11-jährige Seniorin Lotte und Trevor, 3-jähriger Rüde, Mix Boxer-Englischer Bulldog - ebenfalls vom BNH.

Den Entschluß, Minnie noch dazu zunehmen hatten wir gefasst, weil der Rüde so unglaublich eng an der alten Hündin hing und da es irgendwann abzusehen ist, dass diese über die Regenbogenbrücke muss, schien es uns ein guter Gedanke zu sein, ihm noch eine zweite Gefährtin zu geben, damit er dann nicht so allein und traurig ist, wenn der Zeitpunkt kommt. Trevor ist ein unglaublicher Schatz mit einer Engelsgeduld und ausgesprochen freundlich. Lotte ist ebenfalls ein sehr freundliches Wesen - nett zu allen - Mensch wie Hund. Im Garten ließen wir die drei nun zusammen. Es ließ sich auch alles ganz gut an. Aber schon am nächsten morgen ging es los mit dem Theater: Minnie ging auf die anderen Beiden los wie eine Furie. Bei dem geringsten Anlass biss sie zu. Zwei Tage ließen die sich ihre Schmarren und Pelzlöcher gefallen - dann nahm Lotte - ohne Rücksicht auf ihre ganzen altersbedingten Handycaps - die Sache in die Hand und bügelte die kleine Kröte erstmal gehörig in den Dreck.

Trevor machte es ein wenig später ebenfalls. Gut, dachten wir. Nun haben sie das unter sich geklärt - wird wohl Ruhe sein! Weit gefehlt!! Eigentlich verging kein Tag , an dem wir nicht irgendwo mit Desinfektionsspray etwas verarzten musste. Wir konnten die drei nicht zusammen allein lassen. Wenn wir das Haus verließen, mussten wir sie immer getrennt halten. Gut - gib ihr Zeit! - wird schon noch werden! Aber es wurde auch nach mehreren Wochen nichts aus der gewünschten großen Liebe. Es gab mal Tage wo wir dachten - nun ist der Knoten geplatzt - dann war es wieder noch ärger als zuvor.

Zu uns Menschen zeigte sich die Kleine nur von ihrer allerbesten Seite - sie war inzwischen -halbwegs- stubenrein , hatte die ersten Kommandos gelernt und war ganz stolz diese immer wieder vorzuführen, damit sie von uns gelobt wurde.


Sie schmust nicht - sie verschmilzt förmlich mit uns und folgt - besonders mir - auf Schritt und Tritt. Nie habe ich erlebt, daß sie in irgendeiner Weise Menschen oder gar Kinder angegangen wäre. Immer ist sie nur bestrebt, zu gefallen, Streicheleinheiten zu ergattern, gelobt zu werden. Eigentlich - ein Hund zum verlieben!

Aber der Hausfriede war dahin, die Nerven lagen inzwischen blank und die zwei Großen schlichen nur noch mit eingezogener Rute und traurigen Augen durchs Haus. Das war der Moment, wo wir Minnie schweren Herzens in die Vermittlung zurückgaben. Es schien uns einfach unfair, besonders der alten Dame Lotte gegenüber, Minnie zu behalten. Zum anderen war klar, dass die Kleine ein spezielles Training brauchen würde - und das wäre für sie sicher einfacher, wenn sie zuhause ihre Ruhe als Einzelhund hätte.

Aber Minnie verhielt sich nicht nur zu Hause so. Jeder Hund, der uns begegnete wurde massiv angegriffen. Sie beißt in sekundenschnelle Leinen durch, um frei zukommen und ihr Gegenüber zu attackieren. Ihre Trainingsleine musste mit einer Kette verstärkt werden. Gassi gehen ging nur mit einer zweiten Sicherheitsleine. Drohgebärden oder Warnzeichen sind bei ihr nicht zu erkennen. In unserer Umgebung werden wir inzwischen gemieden, als hätten wir die Pocken! Tierarzt geht ohne Spezial-Termin gar nicht! Sie zerlegt das Wartezimmer.

Wir sind nicht unerfahren in der Hundeerziehung. Ich bin mit mehreren meiner Hunde die BH gelaufen, habe Agility gemacht. Mein Mann Micha ist Sohn eines Polizeihundeführers und quasi auf dem Hundeplatz aufgewachsen. Mit 14 Jahren ging der mit seinem ersten Schäfer die BH. Später war er lange Zeit als Übungsleiter tätig - aber Minnie machte uns beide völlig ratlos.

Minnie wurde in die Vermittlung wieder eingestellt. Parallel dazu suchten wir Hilfe und Rat - wurden aber von mehreren Hundeschulen schlichtweg abgewiesen. Die Kommentare "Passt nicht in unser Klientel!" oder "Wir haben keine Ausbildung für Aggressionshunde!" waren noch das Harmloseste, was wir zu hören bekamen.

Durch eine private Empfehlung nahmen wir die ersten Kontakte zu Peter Coinu auf. Gleichzeitig erhielten wir durch den BNH Hilfe von Frau Eggemöller aus Berlin, die uns telefonisch wertvolle Ratschläge und Tipps gab. Nebenbei ein liebes Dankeschön nach Berlin für die "Telefonseelsorge"!

Da kam die erste Vermittlung von Minnie. Ein Ehepaar - rundum alles perfekt - scheute sich nicht, den kleinen Aggressor aufzunehmen. Hätte Erfahrung - der Vorgänger wäre genauso gewesen, hieß es.

Als sie bei uns abgeholt wurde, hielten wir mit nichts hinterm Berg. Wir wollten ja auch nicht, das Minnie irgendeinen Schaden anrichtet, weil sie falsch geführt würde. Aber es hat nichts geholfen - nach zwei Tagen war sie wieder da! Sooooooooooooooooooo schlimm hatte man sich das nicht vorgestellt...

Man konnte Minnie ansehen, wie enttäuscht sie war. Da war sie Hauptperson und hat sich den neuen Menschen von ihrer besten Seite präsentiert. Die waren auch des Lobes voll über ihr Verhalten im Haus und zu Gästen. Aber vor der Haustür - das ginge ja gar nicht!

Also gut - dann los! Ich hatte kaum die Haustür hinter den beiden zugemacht, da hing ich schon am Telefon: "Einmal das große Spezialtraining bitte!".

Drei Tage später hatten wir mit Peter den ersten Termin und volle drei Stunden zogen wir mit Minnie und ihm kreuz und quer durch eine Ortschaft - alles inbegriffen: Einkaufmeile, Hundewald, Wohngebiete...



Fazit Peter: "Sie ist kein böser Hund - nur ein sehr schwieriger Hund! Wenn ihr die hinkriegt, bekommt ihr 'ne Goldmedaille! - Aber es ist zu schaffen!"

Wir wurden in die "Aggressions-Gruppe" eingereiht und schon das nächste mal ging es mit dieser Truppe los ins pralle Leben. Unsere "Mitläufer" waren durchweg Hundehalter mit Vierbeinern des gleichen Kalibers wie Minnie. Allerdings waren das alles große Rüden anderer Rassen. Minnie war das einzige Weibchen - und die kleinste - und gemeinste!!!!! ;-)

Hier noch mal ein großes Dankeschön an diese "Rüpel-Truppe" weil sie mit viel Geduld und Verständnis für unsere Situation die diversen Schmarren an ihren Hunden in Kauf nahmen, uns mit Rat und Tat unterstützten, die Störungen durch Minnie während des Trainings tolerierten und sich auch außerhalb der Trainingsstunden für Spaziergänge mit uns trafen. Diese Möglichkeit hatten wir sonst nie, weil alles vor uns auf der Flucht war.

Ebenfalls großen Dank an Peter Coinu - allein weil es ihn gibt und weil er weit und breit der Einzige war, der sich nicht scheute aggressive Hunde auszubilden.

Das Training mit dem kleinen Kraftpaket ist unglaublich anstrengend. Man darf keinen Sekundenbruchteil unaufmerksam sein und man braucht seine ganze Kraft, wenn sie mit Vollgas in die Leine geht. Ich persönlich bin dazu körperlich nicht in der Lage - Micha war derjenige, der mit ihr da durch gegangen ist. Nebenbei: der ist knapp 2 m groß und hat ein Kreuz wie ein Kleiderschrank - aber er war hinterher immer schweißgebadet und reif für die Couch... und Minnie brachte danach Bällchen...

Gaaaaanz langsam zeigte sich bei Minnie eine Änderung in ihrem Verhalten.

Für Außenstehende war es immer noch erschreckend, wenn sie angeschossen kam - aber wir merkten, das ihre Angriffe nicht mehr permanent und ständig kamen, dass sie kürzer wurden, nicht mehr so heftig waren. Die Leinen hielten jetzt schon länger durch. Zuhause gab es immer längere Zeitspannen des Friedens - und Minnie ging bei Trevor in die Lehre und ließ sich zeigen, wie man spielt. Das konnte sie nämlich überhaupt nicht.

Dann kam der Termin, vor dem mir schon den ganzen Sommer über gegraust hatte: Wir bekamen für 3 Wochen die Einquartierung der Airedale-Hündin meiner Eltern.

Die ist eigentlich friedlich - aber gefallen ließ die sich auch nichts. Mit den beiden Großen gabs nie Probleme - mit Minnie allerdings vom ersten Tag an.

3 Wochen gab es wieder getrenntes Haus - aber jeden Tag eine große Hunderunde mit allen gemeinsam. Minnie war Gift und Galle. Aber "Heidelinde" (der Airedale) wehrte sich handfest. Diesmal sah Minnie öfters genauso kariert aus, wie ihre Sparringspartner beim Training. Das hielt sie allerdings nicht ab, ständig einen geeigneten Moment zu suchen, um den Airedale zu verhauen...

Aber wir konnten beobachten, wie Minnies Verhalten von Woche zu Woche mehr Show wurde. Manchmal sah man richtiggehend mit schmunzeln, wie sie sich umdrehte um in Richtung Heidelinde mal kurz "Buhhh!" zu machen.

Zusammenlassen konnten und können wir die beiden nie - aber als Heidelinde wieder nach Hause konnte, hatte Minnie viel gelernt. Das war im November. Den Dezember über beobachteten wir zu Hause eigentlich nur positive Veränderungen:
    - Es gibt keine Beißereien mehr
    - Minnie spielt inzwischen begeistert mit Trevor
    - Bei Lotte wird "Altenpflege" betrieben und die alte Dame geputzt, wo sie nicht mehr hinkommt
    - Die Autorität der Älteren wird ohne Murren anerkannt
    - Minnie läßt sich relativ schnell zurücknehmen bei fremden Hunden
    - Als sie sich neulich mal losriss, konnte ich sie sogar von dem fremden Hund abrufen! Der hatte keine Schmarre!

Auch körperlich hat sie sich in der Zeit bei uns immens positiv entwickelt: kein dürrer Hungerhaken mehr, Schulterhöhe glatte 6 cm aufgelegt, Fell glatt und glänzend und völlig ohne "Stacheln" und bestimmt 5 kg schwerer. Auf Herrchens Schoß zusammenrollen geht schon längst nicht mehr, Futtertechnisch fand sie ja selbst braune trockene Zwiebelschale Klasse - die sie heute verschmäht. Ach ja, das halbe Blech warmen Streuselkuchen (auf der Küchenarbeitsplatte stehend), den sie innerhalb weniger Minuten bis auf den letzten Krümel vertilgt hat, während ich nur mal kurz Abfälle zum Kompost trug - der wäre sicher auch heute noch weg...

Zu Weihnachten, nachdem alle drei einträchtig ihre Geschenke ausgepackt und zerstört hatten, haben wir ihr dann gesagt, dass sie nie wieder weg muß und immer hier bei uns bleiben soll. Sie scheint jetzt endlich, endlich angekommen zu sein. Und jetzt ist es nicht mehr besser für sie, als Einzelhund zu leben. Jetzt wäre es falsch, sie hier heraus zu nehmen. Es würde vielleicht alles wieder zerstören, was mühsam erreicht wurde. In Händen, die ihre "Warnzeichen" nicht kennen und entsprechend falsch reagieren, passiert vielleicht doch noch etwas. Minnie in den Fängen irgendeines Ordungsamtes - mit Maulkorb und so - mag ich mir einfach nicht vorstellen!!!

Wir sind noch lange nicht am Ziel mit ihr - aber langsam wird sie ein Hund!

Bedingt durch eine Läufigkeit und der strengen Winterperiode ist das Training mit der "Rüpel-Truppe" seit Oktober auf Eis gelegt. Wir werden jetzt aber wieder loslegen und sind ganz gespannt, wie sie sich jetzt dort präsentiert. Mein Mann hat den festen Vorsatz, mit ihr in diesem Jahr noch die BH zu laufen...
...und ich? Ich kann einfach ohne diesen jetzt gar nicht mehr so kleinen Pelzball im Arm nachts nicht mehr schlafen!!!!

Also doch! ENDE GUT - ALLES GUT!!!!!!!!!!!!!!

Familie Gillgasch


Minnie - Lotte - Trevor