Henry


03.10.09


Unser Leben mit Henry

Unser Boxer Henry war ein Wunschkind. Wir haben ihn sehr geliebt, er hat uns viel zu früh verlassen, mit gerade 9,5 Jahren.

Am 1. Mai 2004 haben wir ihn von der Boxer-Nothilfe im Norden Deutschlands, knapp 5-jährig, abgeholt. Er hat uns und wir haben ihn sofort ins Herz geschlossen. Einen Unfall auf dem Heimweg hat er relativ gut weggesteckt.

Die ersten 2 Wochen zuhause lernte wir uns langsam kennen kennen: das ganze Haus und der große Garten waren sein Revier. Durch die gebrochenen Rippen meines Mannes beschränkte sich sein Freigang zunächst in den Garten, wo er von Anfang an in der hinteren Ecke unter den Tannen seine 'Toilette' hatte und nutzte.

Die ersten Spaziergänge draußen waren schwierig. Henry zog sehr stark und ging alles an, was sich auf unserem Weg bewegte. Knurrend, bellend sprang er hoch und es war schwer für meinen Mann, den starken Rüden zu halten, für mich überhaupt nicht möglich. Menschen reagierten verständnislos und ärgerlich auf uns. Bei Begegnungen mit Hunden reagierte Henry besonders stark: (hochspringen, bellen, große Erregung, hecheln).

Zuhause dagegen war er ein richtig Lieber. In der ersten Zeit war er jedoch so ängstlich, daß bei allen Dingen, die er offensichtlich nicht kannte, weg rannte. Z.B. das Rascheln einer Plastiktüte, das Aufstellen des Bügelbrettes ließ ihn in äußerste Ecken flüchten, wenn wir die Hand hoben, um z.B. etwas von einem Haken zu nehmen, duckte er sich. Im Keller wollte er keine Sekunde bleiben, er hatte hier große Angst. Was muß unser armes Hundchen schreckliches erlebt haben! Wieviel Geduld und Liebe wurde nötig, um sein volles Vertrauen zu gewinnen.

Wir mußten erst lernen, daß Henry extrem ängstlich und unsicher war und viele Dinge einfach nicht einordnen konnte. Seine vermeintlichen Angriffe waren eigentlich nur Abwehr.

Da wir Henry und uns jede Chance geben wollten, suchten wir Hilfe bei Tiertherapeuten. Der Tierarzt und -therapeut Gronostay meinte, daß Angst-Aggression, wie sie bei Henry vorliegt, immer schwer einschätzbar wäre. Er half uns zunächst im Umgang Henry bei Begegnungen, nahm uns jedoch die Hoffnung, daß Henry jemals einen anderen Hund näher als über eine Straßenbreite an sich heranließ. Als die Tierärztin und -therapeutin Quandt, die mit ihm zusammen gearbeitet hat, sich selbständig machte und in unserer Nähe praktizierte, haben wir mit ihr weiter gelernt, mit dem Verhalten unseres Henry draußen umzugehen. Kurzhalten, Loben und Leckerli, wenn er bei Begegnungen mit Menschen ruhig blieb, seine starke Erregung liebevoll und ruhig dämpfen, usw.

Gegen das starke Ziehen blieben wir stehen, wenn die Leine stramm wurde und gingen, wenn sie locker war. Trotz wochenlangem Üben kamen wir kaum vom Fleck bei Übungs-Gängen mit Henry. Beide Therapeuten empfahlen dringend das Tragen eines Haltis, was für uns dann eine Hilfe war. Im Garten daheim lief er inzwischen 'bei Fuß' ohne Leine und hörte inzwischen immer besser auf alle gängigen Befehle wie 'sitz', 'platz', 'bleib' usw.

In die vielen Monaten der Übung bei täglichen Ausgängen, in der es kaum Fortschritte zu geben schien, fiel die Zeit, in der mein Mann Knochen-Schmerzen bekam: Knie, Schulter, Rücken schmerzten und ich hatte eine große Rücken-OP. Es hieß, daß ich nie mehr einen Hund führen oder etwas Schweres heben durfte. Jetzt waren wir so weit, aufzugeben.

Wir sind sehr froh, daß wir dann doch durchgehalten haben. Ganz langsam wurde es besser mit unserem Henry. Er durfte sich im Garten beim Spiel richtig austoben, mußte aber draußen immer bei Begegnungen kurzgehalten werden, bekam beruhigende Worte, Lob und Leckerli, wenn er ruhig blieb und vor allem bekam unser Henry viel Liebe. Nie wurden wir böse, nur achteten wir darauf, daß unsere notwendigen Befehle befolgt wurden.

Henry hatte einen ausgeprägten Beschützer-Instinkt. Er mochte es bis zuletzt nicht, wenn uns ein Fremder auf unseren Wegen ansprach. Er hat, was auch gewollt war, auch keinen Fremden in sein Revier lassen wollen. Er lernte jedoch schnell, zu unterscheiden, ob die Fremden Freunde waren, die dann auch seine Freunde wurden.

Henry hatte auch einen für Boxer ungewöhnlich starken Jagd-Instinkt. Bei Begegnungen mit Hasen oder Rehen hat er seine inzwischen gute Erziehung vergessen und schoß los, was dann auch manchmal zur Folge hatte, daß er, zumindest in der ersten Zeit, uns einfach umwarf.

Einmal hatte mein Mann bei einem Sturz einen Bänderriß, der ihm viele Wochen lang das Laufen erschwerte. Ich denke daran, daß Henry einmal so plötzlich aus dem Auto einem elektrischen Rollstuhl nachsprang, so daß ich stürzte und meine Schulter verletzte. Erst nach Monaten war ich wieder schmerzfrei. Interessant dabei war, daß ich dann die Leine losließ und Henry sofort das 'Jagen' nach dem rollenden Stuhl einstellte um mit eingeklemmtem Schwanz ängstlich zum Auto zurückzulaufen. Ohne den Menschen an der Leine fühlte er sich plötzlich nicht mehr stark.

Einen regelrechten Schock erlitt Henry, als er bei einem Spaziergang an der Leine von zwei großen Hunden angefallen und gebissen wurde. Der Halter war weit weg und sein Rufen nach den Beiden verhallte ohne Erfolg. Er ward anschließend auch nicht mehr gesehen. Mein Mann nahm einen Stock und schlug die beiden Hunde in die Flucht. Wir mußten die Bißwunden tierärztlich behandeln lassen. Ich meine, daß Henry seitdem meinen Mann nicht nur als Rudelführer, sondern auch als seinen Beschützer sieht.

Nach etwa 1-2 Jahren wurden die Spaziergänge mit Henry für ihn und uns zur Freude. Henry freute sich, wenn wir die Leine nahmen, er lief entspannt, schnupperte ausführlich und im Herbst jagte er Mäuschen. Bei Begegnungen mit Hunden mußten wir nach wie vor abwägen und seine Körpersprache genau beobachten. Wenn ein Hundehalter meinte, wir könnten Henry bei seinem Hund ruhig von der Leine lassen, war es möglich, daß die beiden Hunde spielten. Es war aber auch möglich, daß Henry auf ein sanftes Retriver-Hunde-Weibchen losging und es bis zum Horizont jagte.

Wir ließen deshalb Henry nur auf übersichtlichen Wiesen von der Leine. Wir haben dann Bällchen oder Stöckchen geworfen, die er uns immer wieder brachte. Dabei konnte er sich ordentlich austoben. Ausgetobt hat er sich auch beim Spielen in unserem Garten. Es war uns egal, daß unser Rasen eher einem Acker glich, Henry hat ihn halt ein wenig zu intensiv vertikuliert. Er hat das Spielen mit Bällchen einfach geliebt.

Henry war inzwischen sehr folgsam. Wir konnten ihn gut mitnehmen und haben auch zwei schöne gemeinsame Urlaubsreisen gemacht, einmal in die Berge, einmal an die Ostsee. Leider hat er dort, anstatt zu schwimmen, das Salzwasser trinken wollen, obwohl wir genügend Trinkwasser für ihn zur Verfügung hatten. Dann bekam er natürlich prompt Durchfall. Er war überhaupt von Anfang an recht empfindlich mit Magen und Darm und vertrug vieles nicht. Darauf konnten wir uns jedoch bald einstellen. Er hat, als er noch gesund war, leidenschaftlich gern gefressen und seine Mahlzeiten regelrecht 'eingefordert'.

Unser 'Adoptivsohn', wie ich ihn manchmal liebevoll nannte, war auch ein ganz großer Schmuser. Immer suchte er die streichelnde Hand, immer wollte er eng bei seinem menschlichen Rudel sein. Am liebsten legte er sich auf den Rücken und ließ sich die Rüdenbrust streicheln. Er wurde immer vertrauensvoller, immer anhänglicher, unser Zusammensein immer intensiver.

Man konnte man Henry auch von Anfang an gut für ein paar Stunden alleine lassen. Er hat nie etwas angestellt oder kaputt gemacht. Aber die Freude war riesig, wenn wir wieder da waren. Zu jeder Tag- und Nachtzeit freute er sich unbändig beim Wiedersehen, selbst wenn einer von uns auch nur kurze Zeit weg war. Wie genossen wir diese Jahre unserer schönen, gemeinsamen Zeit.

Im Jahr 2006 wurde bei Henry in der hiesigen Tierklinik ein Wirbelsäulen-Schaden festgestellt, der ihn glücklicherweise nicht zu sehr beeinträchtigte, wir sahen uns lediglich etwas vor, damit ihm durch Hochspringen oder übermäßiges Treppenlaufen keine Probleme entstanden.

Im Jahre 2008 entfernte die Tierärztin Henry ein kleines Geschwür am Rücken, der Befund war leider positiv. Henry ging es jedoch gut, er war ein munterer, glücklicher Boxer-Bube.

Und dann fing es an, daß Henry plötzlich Futter, das er jahrelang mit Begeisterung fraß, verweigerte. Im Mai 2009 Jahres bekam er so schlimmen Durchfall und Erbrechen, so daß wir zur Tierärztin mußten. Es war so schlimm, daß wir an eine Vergiftung dachten. Mit Spritzen und Tabletten und Diät-Futter wurde es langsam besser. Am liebsten nahm Henry jetzt noch selbstgekochtes Hähnchenfleisch, was er natürlich auch bekam. Dabei hat er abgenommen und war anschließend nicht mehr unser munterer Bube. Wir dachten zunächst, daß er nun auch älter ist und deshalb nicht mehr rennen mochte.

Aber Ähnliches passierte dann noch einmal und Henry begann, viel mehr zu trinken als bisher. Unsere Tierärztin stellte daraufhin bei einer Blutuntersuchung fest, daß seine Werte teilweise stark erhöht waren. Das Röntgenbild zeigte einen Tumor an der Lunge.

Sofort überwies sie Henry in die Tierklinik, wo er stationär ein paar Tage blieb. Die Diagnose war niederschmetternd. Henry hatte außer dem bösartigen Tumor an der Lunge auch ein bösartiges Myelom am Herzen und CT und Knochenmark-Punktion zeigten, daß die Knochen bereits angegriffen waren. Auch die Nieren mußten medikamentös unterstützt werden. Als es keine mehr Hilfe gab, holten wir unseren Buben nachhause, um ihm die verbleibende Zeit noch so lebenswert wie möglich zu machen.

Dann ging alles relativ schnell. Henry hatte von seinen ursprünglichen 32 kg nur noch knapp 25 kg, die wir durch die Behandlung mit Cortison und Niereninjektionen und sorgfältiger Fütterung noch mal auf 27 kg brachten. Der Wechsel zwischen Besserung und Verschlechterung ließ uns immer wieder hoffen und zagen.

Zuletzt halfen auch keine Spritzen mehr. Henry hat einfach nichts mehr gefressen und wurde immer schwächer. Da er auch Schmerzen hatte, wurde er am 30.9. von unserer Tierärztin zuhause bei uns erlöst. Seine Urne wird, zusammen mit seinen beiden Lieblings-Bällchen, in unserem Garten beigesetzt, an dem Platz, den er sich kurz vor seinem Tod selbst ausgesucht hat.

Es ist, als hätten wir einen lieben Menschen verloren.



Fenster schliessen