Hundeausbildung oder Dr. Jekyll und Mr. Hyde


03.10.2005

Vor ca. 4 Jahren habe ich den Notboxer Bongo von der Boxer-Nothilfe übernommen.

Heute kann ich rückblickend sagen:

ich danke der Boxer-Nothilfe für die Vermittlung dieses Hundes. Nur durch Ihn habe ich gelernt, Hunde als solche zum mindesten im Ansatz zu verstehen.

Da ich schon seit meiner Kindheit viel mit Hunden, vielmehr mit Tieren aller Art zu tun hatte und sich dies auch auf meinen beruflichen Werdegang entsprechend ausgewirkt hat, war ich der Ansicht , ich könne mit Hunden umgehen.

Bongo zeigte mir in den ersten 2 Tagen seines Aufenthalts, dass offensichtlich das Gegenteil der Fall war.

Ich hatte ihm ein Stoffkänguruh geschenkt. Dieses lag am Boden im Abstand von 3 m zu dem Hund. Als ich es aufheben wollte, schoß er für mich völlig unerwartet nach vorne um mich in die Hand zu beißen. Nach einer Schrecksekunde, in der ich über meine Gegenreaktion nachdachte kamen mir die aus der klassischen Hundeerziehung eingebrannten Gedanken in den Kopf: Du darfst Dir das nicht bieten lassen, der Hund darf seinen Rang nicht über Dich erheben, er muß seine Grenzen kennen.

Daraufhin ( ich hoffe ich bekomme jetzt keine Anzeige wegen Tiermißhandlung von der Boxernothilfe- aber ich gebe zu ) - ich ditschte ihm das Känguruh aufs Hirn. Innerhalb von Sekunden war mir allerdings klar, das war die falsche Reaktion.

Hiermit steigerte ich das aggressive Verhalten von Bongo derart, daß ich dachte, er springt mir gleich ins Gesicht.

Ich tat intuitiv dann mal was Richtiges, ich ging weg und ignorierte ihn. Das Känguruh verschwand fest verschlossen im Schrank. Spielzeug ade!

Das war nur einer der Konflikte während der ersten 2 Tage und ich war gnadenlos überfordert, und dachte tatsächlich daran, ihn zurückzugeben.

Dann machte ich mir klar- Bongo hat Leishmaniose, einen "Knall" im Hirn und somit keine guten Vermittlungschancen.

Ok. Wenige Wochen bevor ich Bongo bekam, hatte ich von einer neu eröffneten Praxis für Verhaltenstherapie von Dres. med. vet. Corinna Dehn und Stephan Gronostay gehört.

Ich rief diese sofort an, denn mir war klar- ohne professionelle Hilfe schaffe ich es nicht.

Dann folgten 1 1/2 Jahre intensivste Verhaltenstherapie begleitet von parallel verlaufender Grunderziehung. Wir hatten ein komplexes Paket zu knacken - eine angstbedingte Aggression gegenüber Menschen ( Männer +++) und Hunden ( auch Hündinnen ) , gepaart mit ranganmaßendem Verhalten, Aggression beim Abgeben von Gegenständen, Menschen die auf der Straße entgegenkamen wurden drohfixiert, Männer die mich von der anderen Straßenseite grüßten dito und angeknurrt, Hundebesitzerinnen zunächst freudig begrüßt und mit zunehmder Intensität der Begrüßung plötzlich unerwartet angesprungen und angeknurrt, jeder Hund wurde plattgewalzt, Pöbelverhalten der ganz besonderen Art an der Leine, im Auto.

Ich wurde (war selbst schuld) 3 mal gebissen, als ich mich über meinen Hund beugte, um ihn mal zu knuddeln. Das Ganze wurde durch seine Schilddrüsenunterfunktion noch verstärkt. Zudem waren seine nicht gerade positiven Erfahrungen mit den Menschen in Spanien mitauslösend.

Es war eine harte Zeit, manches mal stand ich heulend bei Dr. Gronostay, weil ich so enttäuscht war über das Verhalten meines Hundes, mir und anderen gegenüber. Er muß doch verstehen, daß ich ihm nur gut will. Ich reiß mir hier ein Bein aus und er hat mich schon wieder angeknurrt.

Es hat lange gedauert bis ich wirklich in meinem Innersten verstand: Dieser Hund hat nur Angst, Angst die nicht persönlich gegen mich gerichtet ist, und die so tief verwurzelt ist, daß sie auch heute noch besteht und unauslöschlich ein Teil von Bongos Leben bleiben wird.

Aber:
Die intensive Verhaltenstherapie hat sich mehr als gelohnt! Mit positiver Verstärkung und völlig aggressionsfreier, stressfreier Hundeerziehung, Klickertraining und unendlich vielen Einzelstunden konnten wir Bongo dahin bringen, daß der Knoten Stück für Stück platzte, sodaß ich heute sagen kann:
wir haben den Boxer aus Bongo wieder herrausgekitzelt- er ist mit anderen Hunden (oft) verträglich - nicht unbedingt der "charming boy" - aber erträglich, er pöbelt (fast) nicht mehr an der Leine, im Auto gar nicht mehr.

Er ist ein sehrt intelligenter Hund, der eine unglaubliche Lebensfreude ausstrahlt, er kann seine Angst besser kontrollieren und umleiten ( wir haben Abwenden von Menschen trainiert ), sodaß er gelernt hat, nicht die Leute anzumuffen, sondern zu mir zu kommen, um sich ein Leckerlie abzuholen (Klassische Gegenkonditionierung- ein Mensch kommt- ich habe Angst es gibt etwas gutes – Menschen die kommen sind nett- es gibt etwas Gutes).

Er beschwichtig heute sehr viel und die aggressiven Tendenzen sind selten geworden, auch durch entsprechendes Management. Ich kann ihn auf Kongresse mitnehmen. Es ist für Ihn Stress aber er hält es aus.

Ich bin heute immer noch in der Hundeschule Frankfurt von Corinna und Stephan im Dog-Dancing, um die Kommunikation zwischen mir und dem ehemaligen Monster zu optimieren. Mein kleines Monster hat mordsspaß und darf danach mit seinen Kumpels flitzen. Auch das ist wichtig und eine gute Übung für Ihn, daß er mit einer fluktuierenden Gruppenzusammensetzung klarkommen muß.

Hätte man mich vor 3 Jahren gefragt: "Magst Du den Hund überhaupt?" hätte ich das nicht mit ja beantworten können. Fragt man mich heute, so liegt gerade dieser Hund mir besonders am Herzen. (Hätte man Bongo am Anfang gefragt "Magst Du die Alte überhaupt" - hätte er es bestimmt auch nicht mit ja beantwortet).

So hat sich aus dem Mr. Hyde von damals heute ein liebenswerter Dr. Jekyll entpuppt.

Ich schreibe diese Geschichte um jeden Hundebesitzer, und besonders solche die Hunde mit Problemverhalten haben, zu überzeugen.

Im Namen Ihrer Hunde bitte ich Sie, lassen Sie sich auf die modernen, alternativen Erziehungsmethoden ein und geben Sie nicht auf, es lohnt sich.

Diese Form der Hundeerziehung wird Sie zunächst erstaunen, da Sie ganz anders ist, als man sie von der klassischen Hundeerziehung kennt. Sie lebt von positiver Verstärkung erwünschten Verhaltens und ignorieren des Unerwünschten. Es gibt keine aktive Strafe. Dies ist immer, aber besonders wichtig für Hunde, die dem Menschen gegenüber bereits unsicher oder ängstlich sind, da alles andere diese Unsicherheit und Angst verstärkt.

Sie alle lieben Ihre Hunde und wollen nur ihr bestes. Wählen Sie genau, was "das Beste" ist.

Auf manchen klassischen Hundeplätzen werden Sie bei Verwendung dieses anderen Ansatzes der Hundeerziehung belächelt werden. Auch von anderen Hundehaltern, die schon seit 30 Jahren Hunde haben und sich auskennen. Man braucht aber nur an den entsprechenden Hund zu geraten und alles was man glaubte zu wissen ist hinfällig.

Dies soll jetzt nicht als Angriff auf die traditionelle Hundeerziehung gewertet werden. Auch hier gibt es sehr kompetente und gute Ausbilder. Das sind vor allem solche, die sich den Neuerungen und modernen Erkenntnissen der Hundeerziehung nicht verschließen, sondern sich regelmäßig Fortbilden und die neuen Konzepte mit in ihre Hundeausbildung integrieren.

Ich hoffe, ich kann Ihnen Mut machen nicht aufzugeben, mit einer guten Anleitung, Geduld und Zähigkeit schaffen Siel alles!

Literaturempfehlung:
Hunde sind anders
Jean Donaldson/ Kosmos-Verlag
(ich bin nicht am Umsatz beteiligt!)

Es grüßen Sie aus Frankfurt
Conny und Bongo