Melly


03.12.2006


Ich hatte ja leider sehr wenig Platz im gedruckten BNH-Jahresbericht "Lichtblicke", deshalb nutze ich erneut meine Chance und schreibe euch allen.

Und lasse auch nicht zu, dass ein anderer zu Wort kommt: jetzt rede ich. Ich werde alles widerlegen, das mir bisher unterstellt oder nachgesagt wurde!

Das ging schon bei meiner Ankunft in Deutschland los. Ihr wisst ja alle, dass es mit meiner Gesundheit nicht zum besten stand und ich eine Luftveränderung sowie einen Kuraufenthalt dringend nötig hatte. Meine damaligen Pflegerin hatte sich für Deutschland und einen kleinen Ort in der Pfalz entschieden. Es hat auch alles ganz toll geklappt. Ich wurde von der Boxernothilfe - das scheint so eine private Krankenversicherung für Boxer zu sein - persönlich abgeholt. Mir wurde ein erstklassiges Kurhotel mit exzellentem Futter, Spiel, Sport und Spannung versprochen.

Und was habe ich bekommen? Na ja, wenn ich ehrlich bin, die ärztliche Versorgung, das Futter und meine persönliche Betreuung während meiner Krankheit und Rekonvaleszenz waren schon erstklassig. Aber dann... von wegen Spiel und Spaß, das ganze Haus und Garten ein Boxerabenteuerspielplatz ? Schuften musste ich von morgens bis abends ( übrigens bis zum heutigen Tag). Eine billige Haushalts- und Boxersitterhilfe haben Vera und Franz gesucht. Ich nenne beide jetzt so, schließlich sind wir gleichberechtigt. Von wegen "Herrchen" und "Frauchen" - dieses Obrigkeitsdenken läuft bei mir nicht mehr.

Nachdem ich deren Haushalt auf Vordermann gebracht und einige überflüssige Gegenstände auf dem Müll entsorgt habe, bin ich in diesem Haushalt unentbehrlich geworden. Fehlt nur noch, dass ich auch die Einkäufe machen oder mich um die Wäsche kümmern muss. Das übrigens habe ich Julchen beigebracht. Man kann ja schließlich nicht alles selbst tun. Wäsche muss im Garten an der frischen Luft getrocknet werden und nicht in diesem weißen brummenden elektrischen Kasten. Deshalb trägt Jule die Wäsche nun aus dem Keller in den Garten und wir suchen gemeinsam einen Platz zum trocknen (möglichst unter den Hecken...).

Da solltet ihr mal die Freudenschreie von Franz und Vera hören. Besonders wenn Paule auch noch helfen will und so ehrgeizig ist, die Unterhosen mit einem Dauerlauf durch den Garten zu trocknen. Finden Jule und ich Klasse, wir probieren das Gleiche dann mit den Socken oder Handtücher auch immer.

Franz meint, ich sei schnell wie ein Ferrari, weil sehr tief gelegt, sei meine Kurvenlage bei hoher Geschwindigkeit absolut perfekt. Jule wäre gegen mich nur ein Zweitakter - einfach ein Trabbi.
Mal gespannt womit er Paule in Zukunft vergleicht. Da fällt mir spontan nur "Panzer" ein. Es geht mir gesundheitlich hervorragend. Ich habe alle Boxer (Santos und Zeus), die ich bei meinem Einzug in meine Pflegestelle antraf, überlebt. Mein Tierarzt nennt mich ein "medizinisches Wunder", mein Herrchen eine "Zicke" und Frauchen "Nougatschneckchen".

Ein Fernsehstar bin auch geworden , aber die Kommentare, ich wäre eine kleine Dicke geworden, weise ich empört zurück. Nur weil ich einen knackigen Hintern habe, im Fernsehen sieht doch sowieso dicker aus. Fand ich ja absolut Klasse, dass Michelle und Tamara an uns dachten und in der Sendung "Tabaluga Tivi" um jede Menge Punkte kämpften und so das gewonnene Geld der Boxernothilfe spendeten.

Für ein paar Minuten Sendung war das Kamerateam zwei Stunden bei uns. Für meine Arbeit wurde ich auch sehr gelobt. Ich hatte es richtig drauf. Jule und Paul sollten eigentlich auch mit ins Fernsehen, aber die waren dafür nicht geeignet. Sind halt keine Profis, undiszipliniert und kindisch haben sie sich benommen. Julchen wollte den Kameramann nur küssen und Paule wollte ihn nur fressen. Während ich mich wie eine Diva benahm und meine Rolle perfekt spielte.


Vor Paule haben die Menschen auch etwas Angst. Er würde immer die Zähne fletschen, denken sie. Stimmt nicht, je freundlicher Paulemann ist, um so mehr schiebt er seinen Unterkiefer nach vorne und die großen "Eckhauer" blinseln hervor. So entstehen Missverständnisse zwischen Mensch und Boxer. Aber Paul hat wirklich einen gewaltigen Vorbiss, er kann ohne Probleme einen ganzen Kauknochen quer in seinem Maul transportieren, ohne ihn zu verlieren.

Bei mir sieht jeder nur die Speckröllchen an Hals und Hüften, aber den Hunger sieht keiner. Und wer hart arbeitet braucht viele Kalorien. (Hauptsache - gut gegessen).

Da bin ich übrigens mit Franz einer Meinung. Wir, das sind Jule, Paul und ich betteln ja eigentlich nicht am Tisch. Wir schauen nur mit dem richtigen Blick. Aber nur bei Herrchen Franz - der kann uns einfach nicht widerstehen- bei dem funktioniert das tagtäglich. Anders als bei Vera. Aber Franz sagt dann immer, wir sollen uns nichts daraus machen, die "dürre Rippe (sprich Vera) teilt nicht mit euch, die ist so egoistisch". Stimmt aber nicht, sie hat auch schon geteilt, ich glaube, sie möchte ihre Hosen nicht immer so vollgesabbert haben.

Ihr seht, ich habe immer noch sehr viel in diesem Haushalt zu tun. Die ganze Verantwortung lastet nun auf meinen schmalen Schultern. Haus und Garten bewachen, die Straße sichern, 2-3 mal am Tag als Fitnesstrainer meine Zweibeiner auslasten, außerdem muss ich mich noch um Jule und Paul kümmern. Den Garten habe ich immer noch in Arbeit. Ständig grabe ich neue Pflanzlöcher, aber meint ihr vielleicht meine Familie würde Bäume darin pflanzen?
Nix drin, die sind so faul und schippen heimlich alles wieder zu, als ob ich das nicht sehen würde. Aber "ständiger Tropfen höhlt den Stein" und so graben wir munter weiter. Irgendwann wird es schon klappen und es werden neue Bäumchen gepflanzt. Aber dann haben wir wieder die Arbeit mit dem Umpflanzen oder zu kontrollieren, ob auch tief genug gesetzt wurde. Solch ein Garten macht nicht nur Freude...

Jule hat sich zu einem kleinen Teufelchen entwickelt, Frauchen sagt sie ist wie Popcorn im Topf. Herrchen meint, wir haben ja schon viele verwöhnte Boxer gehabt - dabei schaut er mich immer so komisch an - aber Jule wäre die Krönung. Dabei ist sie eindeutig Papas Liebling und eine richtige "Mamabesetzerin". Ist ja auch noch ein Baby - ein Riesenbaby allerdings - aber liegt immer und überall auf Veras Schoß. Ich glaube, Vera will das so, wenn sie auch manchmal meckert, sie würde sich ein eigenes Sofa mit Stacheldrahtumzäunung kaufen. Das meint sie so ernst wie die Zwingeranlage in Garten.

Julchen rennt mit ihrer Behinderung zigmal am Tag in den Keller (wegen der Wäsche versteht sich) und in den ersten Stock. Aber wenn wir abends schlafen gehen, stellt sie sich unten an die Treppe und schaut Vera ganz mitleidig an. Schließlich ist sie ja gehbehindert und weigert sich deshalb die Treppe hochzugehen. Vera trägt sie dann jeden Abend hoch - schlappe 28kg - und stöhnt und ächzt dabei. Franz, Paul und ich wir überholen meistens dann diesen kleinen "Schwertransport", denn, wenn dieser ins rutschen kommt, sind wir platt wie eine Flunder. Besonders, wenn Franz unten an der Treppe schon ruft "bitte durchgehen, der Bus ist beheizt". Da fängt nämlich Vera immer zu lachen an und dann wird der ganze Juletransport etwas instabil. Da müssest ihr mal Julchens Gesicht sehen. Das passt ihr ganz und gar nicht. Sie möchte nämlich immer gerne die Erste sein. Aber sie beißt Vera zuliebe in den sauren Apfel und lässt sich tragen, weil sie doch so eine arme behinderte Socke ist und Hilfe braucht.

Allerdings ist es auch des öfteren schon vorgekommen, dass sie ihren Gummiknochen unten vergessen hatte. Kaum haben ihre Füße Bodenberührung, saußt sie wie der Wind die Treppe wieder runter und kommt mit ihrem Knochen sofort wieder hoch. Vera schimpft dann immer, sie sei wohl Jules "Depp" und in Zukunft könne sie die Treppe alleine hoch gehen. Aber am nächsten Abend das gleiche Spiel. Tolles Spielchen zwischen Jule und Vera. Wir schließen schon geheime Wetten ab. Unser gestreiftes Julchen hat bisher immer gewonnen.

Pah, sie hat aber auch wirklich Narrenfreiheit, die Nervensäge und nur weil sie behindert ist. Sie ist mir zwar über den Kopf gewachsen, aber das spielt für mich keine Rolle. Ich habe sie fest im Griff.

Eigentlich wollte ich mich über Sommer etwas erholen , nachdem mein Freund Zeus über die Regenbogenbrücke gegangen ist und ich zu meinem Fulltimejob noch seine Krankenpflege übernommen hatte. Es hat uns allen sehr leid getan als er starb. Er war doch erst 6 Jahre und Jules persönliches Kuschelkissen. Sie hat immer auf seinem Rücken geschlafen, wenn ich mal - wie üblich - kein Zeit für ein Boxernickerchen hatte. Ansonsten nimmt sie mir immer den Platz auf dem Sofa weg, weil sie sich auf mich draufpackt und ich durch ihr Gewicht weggeschoben werde.

Aber dann wurde mir Paul vor die Nase gesetzt. Es hatte geklingelt. Noch ehe ich richtig zur "Hochform" Wachhund auflaufen konnte, stand ein fremder Boxer in meiner Küche. Was soll ich euch sagen, es ging mit der ganzen Erziehung von vorne los. Und Paul - mir wurde gesagt ich, solle etwas nachsichtig sein, er würde nicht gut sehen - ist ein Rüpel, kein Gentleman wie Santos oder Zeus. Und dazu noch sehr aufmüpfig mir, Franz und Vera gegenüber. Der weigert sich doch tatsächlich- bei meinem besonderen Blick- unter den Küchentisch zu gehen. Ich kann euch sagen, da wurden schon ein paar Kämpfe ausgefochten - Jule mischt immer mit, obwohl sie sich nicht für eine Partei entscheiden kann. Aber es geht ja bekanntlich nichts über eine tolle Boxerschlägerei. Frauchen ist sogar schon einmal mit dem Gartenschlauch dazwischen, als ich so richtig in Hochform war.

Manchmal tut mir Paul auch richtig leid, weil er Menschen gegenüber etwas unsicher ist. Er möchte auch nicht am Kopf gekrault werden, dann macht er sich immer ganz klein. Auch möchte er nicht am Halsband gepackt werden, dann schmeißt er sich auf den Boden und versucht zu schnappen. Da es etwas schwierig war, Paule ins Haus zu bekommen - er wollte anfangs lieber draußen bleiben - wurde jetzt ein Kompromiss gefunden. Das Zauberwort heißt "Wurst". Wenn er ins Haus soll wird einfach " Wurst" gerufen und Paule kommt ohne am Halsband reingeführt zu werden. Jule und ich profitieren natürlich auch davon. Was aber die Nachbarschaft denkt, wenn laufend Wurst gerufen wird...

Hoffentlich meint Paule nicht, er würde so heißen. Aber stellt euch vor, manchmal ist die Wurst nur eine Nudel und er kommt trotzdem. Und ich hasse Nudeln. Ich kenne genau - im Gegensatz zu den anderen beiden- den Unterschied und spucke sie dann wieder aus. Vielleicht hat Paul aber auch einfach Angst, weil er so schlecht sieht. In der Dämmerung oder Nachts kann er sich draußen sehr schlecht orientieren. Er wird mit der Zeit ganz erblinden und seine Nase muss auch operiert werden. Er hat eine richtig platte Nase im Gesicht - ganz anders als mein keckes Stupsnäschen - und kriegt schlecht Luft. Wieder viel Verantwortung für mich. Am Schluss muss ich noch Blindenhund für ihn spielen. Aber noch kann er mit uns durch den Garten flitzen, mit mir dem schnellsten Boxer der Welt.

Noch eines zum Schluss, spät abends sollen wir immer mit Vera oder Franz noch mal zum Pippi machen in den Garten gehen. Wenn es trocken ist, ist nichts dagegen einzuwenden, aber wenn es regnet, lassen wir Franz immer alleine vor gehen und verdrücken und heimlich wieder aufs Sofa oder wir warten unter der Pergola bis er wieder kommt. Dann steht er dann da mit seiner Taschenlampe im Garten und ruft zu Vera: Ja, bin ich wieder der einzige Trottel, der im Garten steht? Wir sagen dazu nix - schließlich wollte er ja raus und nicht wir!

Ich wünsche Euch allen, auch im Namen der BNH, ein fröhliches, friedliches Weihnachtsfest und ein gesundes, glückliches neues Jahr 2007.

Noeliniz Ve Yeni Yiliniz Kutlu Olsom (hoffentlich stimmt das so noch, mittlerweile ist mein türkisch etwas holprig geworden...)

Eure Melly aus Istanbul