Lillis Tagebuch - Seite 1 (5)


Lilli Schon lange hatte Christa, meine Frau, gedrängt, "laß uns doch wieder einen Hund haben", aber Jochen hatte ständig widerstrebt, und oft hatten wir uns gegenseitig zurückgenommen, weil wir uns die frischgewonnene Rentnerfreiheit nicht beeinträchtigen lassen wollten.

Dann griff aber die Überlegung Platz, daß wir wegen Mutter Sophie gar nicht so freizügig agieren konnten, wie wir gedacht hatten, und wir begannen, dem Gedanken der Anschaffung eines Hundes näherzutreten. Es sollte aber kein Welpe sondern ein "fertiger" Hund sein, bei dem die zeitliche Verpflichtung überschaubar sein würde.

Hinzu kam, daß Christa beim Bügeln in der Waschküche häufig die Sendung sah "Tiere suchen ein Zuhause", und die dort gezeigten Schicksale ließen uns nicht unberührt. Wir klickten uns durch das Internet und entdeckten, daß es wohl für alle Hauptrassen von Hunden eigene Hilfsorganisationen gab, so für Dackel, Schäferhunde, Collies, Terrier usw. usw. So kamen wir auf die "Deutsche Boxer-Nothilfe". Hier war ein eigenes Angebot von Boxern und Boxermischlingen ins Netz gestellt mit eingehenden Beschreibungen (Größe, Alter, Farbe, Charakter, spezielle Eigenschaften).

Nachdem wir einen gewaltigen Rüden "Rambo" (45 kg, schwieriger Charakter) nach anfänglichem Interesse ausgeschlossen hatten, fiel unsere Wahl auf "Fabiola", eine kleine Boxerdame ("Herz auf vier Pfoten"), noch an Ohren und Schwanz sorgfältig kupiert, von angeblich fast 8 Jahren, die auf Fuerteventura aufgegriffen und nach Deutschland gebracht worden war.

Frühjahr 2003 auf Fuerteventura
Was ist nur los? Das Haus, in dem ich bisher gelebt hatte, ist verschlossen, keiner scheint da zu sein. Was wird mit mir werden, wer gibt mir Futter, und wo werde ich in Zukunft schlafen? Ich werde erst einmal vor der Haustür warten, ...... aber keiner kommt. Ich muß auf die Straße und sehen, wo ich etwas zu fressen ergattere. Aber da sind auch andere Hunde, und ich bin weder erfahren noch geübt im Schnorren. Keine guten Aussichten. Ein paar Tage geht das nun schon so. Immer wieder schaue ich bei meinem bisherigen Zuhause nach, aber nichts tut sich. Und ich habe solchen Hunger.

Da kommt jemand. Ist freundlich zu mir und nimmt mich mit. Ich werde, obwohl mir das gar nicht gefällt, in einen Käfig gesperrt. Ringsherum sind noch eine Reihe anderer Hunde, die man offenbar auch auf der Straße aufgelesen hat. Was geschieht nun mit mir? Immerhin gibt man mir regelmäßig Futter, und ich habe ein Plätzchen zum Schlafen. Auch nennen sie mich "Fabiola". Aber was wird weiter mit mir geschehen?

Schließlich sperrt man mich in eine Kiste und fährt mich mit dem Auto fort. Wohin nur? Ich werde mit meiner Kiste in einen dunklen Raum gesteckt, dann ertönt ein Mordsgetöse, und meine Kiste und der gesamte Raum schaukeln tüchtig, so daß mir fast übel wird. Nach einigen Stunden, es kam mir unendlich lange vor, werde ich mitsamt meiner Kiste ausgeladen, und eine nette Frau nimmt mich in Empfang. Sie streichelt mich, gibt mir ein Leckerli und lädt mich in ein Auto. Was wird das nun wieder sein, und wohin geht es?

Etwa 20. Mai 2003 in Deutschland / Worms-Rheindürkheim
Das Auto hält, ich springe hinaus und werde von einer anderen Frau in Empfang genommen und in einen Zwinger gesperrt. Die Leute sprechen eine Sprache, die ich noch nie gehört habe. Hier sind auch noch andere Hunde, und ich nehme Kontakt zu ihnen auf. Immerhin stellt man mir einen Napf mit Futter hin. Es schmeckt mir zwar nicht besonders, aber der Hunger treibt's ´rein. Dann versuche ich zu schlafen, aber das gelingt nur sehr unvollkommen wegen des Gewusels, das die Mitgefangenen veranstalten.

Hier ist es kälter als in meiner früheren Heimat, und auch die Sonne scheint nicht so warm. Wie wird es mir nur ergehen? Tagsüber haben wir manchmal Auslauf auf dem Hof der Hundepension, aber so richtig ist das alles nicht, und ich sehne mich wieder nach geordneten Verhältnissen.

Nach einigen Tagen kommen ein paar Leute und besichtigen mich. "Die hat ja ganz häßliche Liegeschwielen," höre ich sie sagen, "die wollen wir nicht." Ich hätte die Leute aber auch nicht gewollt. Schließlich kann ich nichts für die Liegeschwielen, wenn ich immer ohne Unterlage auf heißem Beton habe liegen müssen.

Nun ging aber zunächst der Papierkrieg los. Wir bekamen von der Boxer-Nothilfe einen zweiseitigen Fragebogen, ob alle Familienmitglieder mit einem Hund einverstanden seien, wie weit es zum nächsten Grüngelände sei, welche Wohnverhältnisse wir hätten, was der Hund nicht dürfe usw. usw. Nachdem wir den Fragebogen ausgefüllt und eingereicht hatten, kam im Auftrage der Boxer-Nothilfe eine Dame mit einem beeindruckenden weißen Boxerrüden, um uns zu besichtigen. Der Boxer warf sich, kaum angekommen, unter den Glastisch und schlief, laut schnarchend, fest ein. Nachdem sich der Hund bei uns wohl zu fühlen schien, war die Eignung kein Gesprächsthema mehr. Wir haben den Verdacht, daß der Hund ein Teil des Tests war, den wir zu bestehen hatten.

Eine Klippe war noch zu überwinden. Ein anderes Ehepaar hatte sich vor uns mit Interesse an Fabiola gemeldet und wollte sie am Sonntag besichtigen. Jedoch am Abend rief uns eine empörte Frau Dengel von der Boxer-Nothilfe an und sagte: "Stellen Sie sich vor, die Leute wollen Fabiola nicht haben, weil sie an beiden Hinterläufen so häßliche Liegeschwielen hat. Begreifen Sie so etwas? Die werden von mir keinen Boxer bekommen! Sind Sie noch an Fabiola interessiert?" Nun war der Weg für uns frei.

Aber "Fabiola" war kein Name nach unserem Geschmack. Unser neuer Hausgenosse sollte LILLI heißen.

Am Sonntag, dem 25. Mai 2003, haben wir uns zu dritt (Christa, Jochen und Mutter Sophie) aufgemacht, um unser Hundemädchen abzuholen. Sie war nach ihrem Flug von Fuerteventura in Worms-Rheindürkheim in der Hundepension von Frau Kleinbühl untergebracht. Wir waren sehr gespannt, ob uns unser neuer Hausgenosse auch akzeptieren würde.

Lilli entpuppte sich als ein ganz entzückendes Boxermädchen, dem Heinrich in Farbe und schwarzer Maske geradezu lächerlich ähnlich sehend, voller Zutrauen und von einer großen Interessiertheit und Lebhaftigkeit. Wir waren ihr wohl recht, denn sie ließ in keiner Weise irgendeine Abneigung erkennen. Mit Frau Kellerer von der Boxer-Nothilfe wurde ein Vertrag geschlossen, daß wir Halter, aber nicht Eigentümer des Hundes seien, und € 150,- bezahlt. Anschließend machte Frau Kellerer noch einige Aufnahmen, und dann wurden wir mit den besten Wünschen entlassen.

Lilli ist bereitwillig und gern in unser Auto gestiegen und hat es sich auf dem Rücksitz mit dem Kopf auf Jochens Schoß bequem gemacht.

Auf der Rückfahrt haben wir in einem Café in Bad Salzig Rhein angehalten. Auch hier hat sich Lilli vorbildlich verhalten, hat sich streicheln und mit Leckerlis verwöhnen lassen.

25. Mai 2003 , Worms/Haan
Nach ein paar weiteren Tagen kommen wieder Leute, ein Ehepaar und eine ältere Dame. Sie streicheln mich, sprechen mit mir in der mir noch unverständlichen Sprache und scheinen doch recht lieb zu sein. Sie haben ein Auto mitgebracht und lassen mich auf dem Rücksitz liegen. Der Mann setzt sich neben mich und läßt meinen Kopf auf seinem Schoß ruhen. Hier kann ich endlich einmal ungestört schlafen. Und nun habe ich offenbar ein neues Frauchen und ein neues Herrchen und sogar noch eine Oma.

Auf der Fahrt machen wir Pause, sie nehmen mich an die Leine und sind überhaupt recht freundlich zu mir. Schließlich kommen wir an, und man sagt mir: "Du heißt jetzt Lilli, und dieses ist Dein neues Zuhause." Mir soll es recht sein, wenn ich nur regelmäßig Futter bekomme. Diese Leute sind wirklich lieb zu mir, aber alles ist so neu und aufregend. Ich muß erst einmal das Haus und den Garten inspizieren. Es gefällt mir ja ganz gut, aber was wird die Zukunft bringen?

Zu Hause angekommen, wurden schnell alle Teppiche entfernt, und dann begann Lilli mit einem Inspektionsgang durch alle Räume. Sie war sehr aufgeregt und offensichtlich von einer panischen Angst erfüllt, daß wir ihr wieder abhanden kommen könnten. Gefressen hat sie an diesem ersten Abend nichts mehr, und sie war auch viel zu nervös, um ihre Geschäfte zu erledigen. (Diese hat sie dann am nächsten Morgen auf dem Schlafzimmerteppich nachgeholt, wohlgemerkt, nachdem sie von einer größeren Runde nachhause kam.) Der Teppich wurde gründlich gewaschen, und das hat ihm nur gut getan.

Frauchen gibt mir einen Napf mit Futter, aber vor Aufregung schmeckt es mir nicht so recht, und ich fresse nur ganz wenig. Sie nehmen mich an die Leine und gehen mit mir in ein Gelände mit Bäumen und Sträuchern, vielen Wiesen und Wegen. Hier läßt man mich ohne Leine laufen, aber ich bin vorsichtig und entferne mich nur wenige Schritte von meinen neuen Leuten, damit ich sie nicht wieder verliere. Auch weiß ich noch nicht, ob ich hier meine Geschäfte erledigen darf. Also lasse ich es vorsichtshalber erst einmal.

Dann wird es Abend und Nacht. Die Leute zeigen mir einen großen weichen "Napf" mit einem Kissen und zwei Decken und sagen: "Das ist Deine Kiste. Darin kannst Du gut schlafen, und morgen ist ein neuer Lilli-Tag". Zum ersten Mal schlafe ich wirklich gut und ungestört neben dem Bett meiner neuen Leute.

In ihre schöne weiche "Hundekiste" ist Lilli erst nach einigem Zureden gegangen, allerdings mußten wir diese in der ersten Nacht in unser Schlafzimmer stellen. Wir glauben, daß sie die ganze Nacht wie angewachsen darin gelegen und sich nur ab und zu einmal umgedreht hat. Im übrigen hat sie geschnarcht wie ein Wachtmeister. Ab der nächsten Nacht stand die Kiste im Flur vor dem Eichenschrank, jedoch bei offener Schlafzimmertür.

Am nächsten Morgen werde ich wieder ausgeführt, und wir gehen eine große Runde. Immer bleibe ich in der Nähe meiner Leute, und ich lerne schon gleich eine Reihe anderer Hunde kennen. Nach der Rückkehr drängt es mich so sehr, daß ich mich auf dem Schlafzimmerteppich lösen muß. Meine Leute haben es mit Humor genommen, und es soll auch nie wieder vorkommen.

Jeden Morgen um 7 Uhr wird Lilli zu einem ersten langen Spaziergang durch das Haaner Bachtal, eine parkähnliche Landschaft gleich an unserem Haus, ausgeführt ("27-Laternen-Rundgang"). Sie erledigt inzwischen ihre Geschäfte zuverlässig, allerdings oft mitten auf dem Weg (wird mittels Spachtel beseitigt).

Die Leute haben mich eigentlich ganz gut ausgestattet. Ich habe die Schlafkiste, zwei große weiche Kissen zum Draufliegen, einen Bettvorleger für die Terrasse, einen Futterständer mit mehreren Näpfen und auch sonst noch allerlei. Die Leute sind wirklich lieb zu mir. Wenn ich auch ihre Sprache noch nicht so recht verstehe, der Tonfall ist mir doch sehr angenehm. Wollen wir einmal sehen, wie sich die Dinge weiterentwickeln.